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Nachhaltigkeit von Stahl auf dem Prüfstand | Welser Profile

Geschrieben von Jörn Miklas | Apr 25, 2024

Die Verbesserung der Klimabilanz in allen mit Metall verbundenen Bereichen des täglichen Lebens (z.B. im Stahlbau) ist ein wichtiger Schritt zur Erreichung der europäischen Klimaziele. Aber wie sieht sie überhaupt aus, die Klimabilanz für Stahl? Eine sogenannte cradle-to-gate-Analyse liefert belastbares Datenmaterial, indem sie den CO2e-Wertstrom für den jeweiligen Stahlverwender ermittelt. Betrachtet wird dabei sowohl die Energie- als auch die Materialeffizienz des Stahls, von der Herstellung bis zum fertigen Produkt, aber auch die gewählte Logistik.

Das aktuell ernüchternde Ergebnis: tatsächlich grüner Stahl (engl. Green Steel) ist derweil noch Zukunftsmusik. Die Transformation der europäischen Stahlindustrie hin zu einer Zero-Emission-Produktion ist ein teurer und komplexer Weg. Allerdings gibt es bereits konkrete Konzepte für eine umwelt- und ressourcenschonende Fertigung. Im folgenden Beitrag wollen wir uns daher ein wenig genauer ansehen, was schon heute möglich ist und was es zur Herstellung von nachhaltigem Stahl weiter braucht.

Green Steel - Was ist das eigentlich?

Der Begriff grüner Stahl (engl. Green Steel) hat zweierlei Bedeutung:  

  • theoretisch streng genommen CO2e-neutraler Stahl (Zero Emission)
  • alltagsgebräuchlich CO2e-reduzierter Stahl
     

Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch erscheint, wird verständlicher, wenn wir uns vor Augen führen, dass wir gerade mitten in einem Entwicklungssprung vom grauen zum grünen Stahl sind. Denn eine Stahlproduktion ohne jede CO2e-Emission ist heute noch Wunschdenken, während führende Konzerne bereits als Ziel ausgegeben haben, bis 2050 ausschließlich CO2e-neutralen Stahl herstellen zu wollen.  

Konkret bedeutet das eine vollständige Abschaffung der mit fossilen Energieträgern betriebenen Hochöfen, sowie die Deckung der energieintensiven Fertigung ausschließlich mit Energie aus erneuerbaren Quellen. Derzeit arbeiten die Hersteller daran, den CO2-Footprint ihrer Erzeugnisse spürbar zu verringern und immer weiter abzusenken. Aber sie ahnen es natürlich bereits: der Weg in die immergrüne Zukunft des Stahls ist noch weit.   

Wie nachhaltiger Stahl möglich wird

Mittlerweile gibt es praxistaugliche Verfahren, die eine emissionsreduzierte Stahlproduktion erlauben und damit die Weichen für die weite Reise in Richtung CO2e-Neutralität stellen. 

Direktreduktion mit Wasserstoff

Wasserstoff ist ein wesentlicher Faktor bei der Herstellung von grünem Stahl und die wasserstoffbasierte Direktreduktion eine praxistaugliche Technologie zur Vermeidung von CO2e-Emissionen. Dabei werden Eisenerze in einem Schachtofen von gasförmigem Wasserstoff umströmt und bei ausreichender Reaktionsenergie reduziert. Dieser Prozess läuft bei niedrigeren Temperaturen ab als im Hochofen und erzeugt statt flüssigem Roheisen einen sogenannten Eisenschwamm (HBI = Hot Bricket Iron). Dieser wird in Elektrolichtbogen- oder Schmelzöfen zu Stahl geschmolzen. 

Solange der energie- und kostenaufwendig zu produzierende Wasserstoff noch nicht in ausreichender Menge vorhanden ist, kann auch Erdgas für die Direktreduktion verwendet werden. Mit dieser Methode werden bis zu zwei Drittel der CO2e-Emissionen eingespart, da Methan als Hauptbestandteil des Erdgases ein wasserstoffreiches Gas ist.  

Schrottbasierter Elektrostahl 

Die Elektrostahlproduktion auf Basis von Schrott (Sekundärstahlproduktion) erlaubt bereits heute eine deutliche Reduktion von CO2e-Emissionen. Dabei wird Schrott im Elektrolichtbogenofen mit Hilfe von Strom zu neuem Stahl geschmolzen. Da Stahl ohne Qualitätsverlust immer wieder recycelt werden kann, ist dieses Verfahren ressourcenschonend und trägt gleichzeitig zu einer Verringerung von Treibhausgasemissionen bei, speziell wenn Strom aus erneuerbaren Energien verwendet wird. Aufgrund der naturgemäß begrenzten Menge an Stahlschrott kann diese Produktionsmethode jedoch nicht beliebig ausgeweitet werden. Auch bietet das Verfahren nicht das vollumfängliche Materialgütenspektrum eines integrierten Stahlwerkes.

4 Gründe für die stählerne Nachhaltigkeit

Aufgrund seiner Materialeigenschaften ist ein klima- und ressourcenschonender Umgang mit dem Rohstoff Stahl und dessen Integration in eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft bereits heute gut umsetzbar. Dafür sprechen insbesondere folgende 4 Gründe:   

  • Hoher Anteil an Schrottverwertung
    Einem aktuellen statistischen Bericht der Wirtschaftsvereinigung Stahl zufolge sind 84 Prozent des jemals weltweit produzierten Stahls durch seine Langlebigkeit und Recycling immer noch im Einsatz. In der Europäischen Union wurden demnach im Jahr 2022 136,3 Millionen Tonnen Rohstahl produziert und dafür 79,3 Millionen Tonnen Stahlschrott eingesetzt.

  • Effiziente Materialnutzung durch nachhaltige Verfahren (Rollformen)
    Beim Rollformen fällt durch die Bearbeitung des Stahls verglichen mit anderen Verfahren sehr wenig Stahlschrott an. Und dieser kann nach Verkleinerung auf 800 Millimeter lange Stücke direkt wieder einer Verwendung im Stahlwerk oder in Schmieden als hochwertiger und sortenreiner Schrott zugeführt werden. 

  • Wiederverwertbarkeit von Stahl
    Stahl ist zu 100 Prozent und im besten Fall ohne Qualitätsverlust wiederverwertbar, wenn beim Recycling sortenrein gesammelt wird. (Eine Mischung mit Fremdstoffen kann die Qualität beim Wiedereinschmelzen verringern und die Güte des Stahls senken.) Durch die wiederholte Verarbeitung im Rahmen der Sekundärstahlproduktion trägt er maßgeblich zu einer CO2e-Reduktion im Lebenszyklus eines Produktes bei. Laut statistischem Bericht der Wirtschaftsvereinigung Stahl 2023 werden durch das Recycling mehr als 1,5 Tonnen Eisenerz und mehr als 0,65 Tonnen Kohle je Tonne produzierten Stahls eingespart.

  • CO2e-reduzierte Logistik
    Stahl wird bereits heute vielfach auf der Schiene transportiert und trägt damit auch im Logistikbereich maßgeblich zu einer CO2e-Reduktion bei. Denn während ein durchschnittlicher LKW auf jeden Kilometer 86,7 g Treibhausgasemissionen pro Tonne Frachtvolumen freisetzt, sind es im Schienenverkehr nur 4,1 g. Ein Transportkilometer auf der Schiene ist also über 21 Mal umweltschonender als auf der Straße.

 

Was nachhaltige Stahlproduktion noch ausbremst

Wir wissen: Stahl als fertiges Material ist ein äußerst nachhaltiger Werkstoff. Verbesserungsbedürftig ist allerdings seine traditionelle und ambivalente Entstehung, denn je nach Herstellungsverfahren und Ausgangsmaterial ergeben sich zum Teil äußerst nachteilige Auswirkungen auf die Klimabilanz.

Integrierte Hochofenroute (BOF)

Bei der Verfahrensroute über den Hochofen wird aus Eisenerz und Reduktionsmitteln wie Kokskohle flüssiges Roheisen gewonnen, das anschließend im Stahlwerk mit jeder gewünschten Legierung umgewandelt wird. Dieses Verfahren trägt mit 2,1 Tonnen CO2e pro Tonne Stahl den größten Anteil klimaschädlicher Emissionen. Die zur Herstellung notwendige Kohle kann bei diesem Verfahren zu einem gewissen Anteil durch Wasserstoff ersetzt werden. Dadurch werden die negativen Auswirkungen zumindest ein Stück weit kompensiert. Aus erneuerbarer Energie hergestellter Wasserstoff ist derzeit allerdings nahezu nicht verfügbar.

Elektrostahlroute

Deutlich emissionsärmer fällt die Elektrostahlroute aus. Die direkten Emissionen dieses Verfahrens liegen bei 0,1 bis 0,3 Tonnen CO2e pro Tonne Stahl. Im Vorfeld fällt jedoch ein Mehraufwand an, da der zur Fertigung verwendete Stahlschrott erst sortiert und verschiedene Materialqualitäten voneinander getrennt werden müssen. Folglich kann über die Elektrostahlroute auch nicht das gesamte Portfolio an höher legierten Materialien produziert werden. Ein weiterer Wermutstropfen: Verfahrensbedingt ist der Strombedarf bei der Elektrostahlroute relativ hoch. Die Hersteller können derzeit aber noch nicht vollumfänglich auf Strom aus erneuerbaren Energiequellen zugreifen.  

Mehr Nachhaltigkeit dank Rollformen

Beim Rollformen entstehen aus einem aufgewickelten Stahlband sowohl Standard- als auch Sonderprofile mit hoher Genauigkeit. Dafür wird das Band auf die richtige Breite gespalten und bei Raumtemperatur auf der Rollprofilieranlage für die jeweiligen Anforderungen geformt. Durch dieses Verfahren überzeugt Rollformen beim Thema Nachhaltigkeit gleich mehrfach: 

        • Reduktion von Prozessschritten
          Beim Rollformen entfallen durch die Zusammenlegung mehrerer Prozessschritte klassische Handwerksarbeiten wie Sägen, Stanzen oder Feilen.   

        • Energieeffizienz
          Das Rollformen erfolgt bei normaler Raumtemperatur ohne zusätzlichen Energiebedarf. 

        • Hohe Materialausnutzung
          Verfahrensbedingt wird beim Rollformen ein sehr hoher Anteil des Ausgangsmaterials verarbeitet.

        • Reduzierung der Materialstärken
          Rollformen ermöglicht den Einsatz hochfester und mikrolegierter Stahlsorten, was eine Reduzierung der notwendigen Materialstärke und somit des Bauteilgewichts durch intelligente Werkstoffsysteme ermöglicht. Diese Ansätze unterstützen das Konzept des Eco Designs, das auf ressourcenschonende Produktentwicklung abzielt.

 

Zukunftsperspektiven für grünen Stahl

Die technischen Möglichkeiten zur Produktion von klimaschonendem Stahl sind bereits heute gegeben und werden von führenden Herstellern auch in Zukunft weiter vorangetrieben. Dabei sollen Brennstoffe aus fossilen Quellen sukzessive durch Wasserstoff und Strom aus erneuerbaren Energien ersetzt und bis spätestens 2050 eine vollständig CO2e-neutrale Stahlproduktion realisiert werden. In Schweden ist beispielsweise das grünste Stahlwerk Europas geplant - eine Anlage, bei der die Energie für das stark CO2e-reduzierte Lichtbogenverfahren aus Wasserkraft gespeist wird. 

Klar ist aber auch: Der Aufwand zur Erzeugung von grünem Stahl mit Hilfe moderner Technologien ist definitiv höher als bei herkömmlichen Verfahren und damit auch die Kosten. Denn eine Umstellung bedeutet nicht nur die Einführung neuer Produktionsverfahren, sondern auch die Integration eines komplett neuen Herstellungsverfahrens in eine bereits bestehende Prozesskette eines Stahlherstellers

Zudem ist der Standort zunehmend von entscheidender Bedeutung. Bislang galt die Nähe zum Kunden und die logistische Verfügbarkeit von Rohstoffen als Standortargument. Zukünftig wird es die Verfügbarkeit erneuerbarer Energie sein, insbesondere grüner Strom und grün erzeugter Wasserstoff. Und während beispielsweise die Automobilindustrie großes Interesse an klimaneutral erzeugtem Stahl bekundet, ist sie nur bedingt bereit, die erforderlichen Investitionen mitzutragen. 

Gerade im Zuge der Ukrainekrise zeigt sich, wie schnell viele Unternehmen ihre guten Absichten hinsichtlich grünem Stahl aufs strategische Abstellgleis schieben, sobald es ums Geld geht.

Kein nachhaltiger Stahl ohne verbindliche Regelung

Wie rasch und wie umfassend der dringend notwendige Umstieg auf grünen Stahl erfolgen wird, liegt daher nicht zuletzt in den Händen der Verarbeiter und der Politik. Erstere werden sich fragen müssen, welchen Stahl sie künftig am Markt nachfragen und handeln wollen: vergleichsweise billige CO2e-Schleudern oder Erzeugnisse aus CO2e-reduzierter Produktion. Die Politik wiederum muss klimaschädlichen Herstellungsverfahren durch die Implementierung wirksamer Strafzölle (CBAM) entschieden entgegentreten und jene Akteure unterstützen, die aktiv für eine grüne Zukunft der Stahlerzeugung arbeiten. 

Fazit: Unser Beitrag für nachhaltigen Stahl

Bei Welser setzen wir uns für eine nachhaltige Produktionsweise ein, indem wir unsere Materialien von lokalen Lieferanten beziehen, die unsere Ansichten und Klimaziele teilen. Darüber hinaus verfolgen wir bei der Reduktion unseres CO2e-Fußabdrucks einen holistischen Ansatz. Wir distribuieren Stahl über den Schienenverkehr, verarbeiten ihn ressourcenschonend mittels Rollformen und führen den wenigen dabei anfallenden Schrott zirkulär einer Wiederverwendung im Stahlwerk zu (Closed Loop). 

Last but not least teilen wir immer gerne unser langjähriges Know-how zu nachhaltigem Stahl und stehen Kunden sowie Projektpartnern bei der möglichst klimaverträglichen Realisierung ihrer Vorhaben mit Rat und Tat zur Seite.